Vom Broekerhaven ging es am nächsten Tag weiter auf’s Markermeer und endlich konnte ich mal wieder die Segel hissen. Ein schönes Gefühl, diesen Platz um sich herum zu haben, schon mal ein bisschen was von der Freiheit und der Weite wieder zu spüren. Am Nachmittag erreichte ich Amsterdam, gerade noch rechtzeitig vor der Rushhour, denn dann wird die große Brücke nicht geöffnet und alle Schiffe müssen zwei Stunden warten. Ich beschloss, keinen Stopp in Amsterdam zu machen, sondern weiterzufahren bis Nauerna, einem kleinen Hafen hinter Amsterdam, in dem ich schon vor drei Jahren einmal lag und den ich in guter Erinnerung hatte. Von hier aus war es auch nur noch ein Katzensprung bis zum Eingang der stehenden Mastroute nach Süden über Haarlem.
Ich startete also früh, hatte vorher noch einmal die Brückenöffnungszeiten kontrolliert und stand ein paar Minuten später vor der Brücke – mit zwei roten Lichtern. Zwei rote Lichter bedeuten, dass diese Brücke geschlossen ist und auch in nächster Zeit nicht geöffnet wird. Na das fängt ja gut an. Auf telefonische Nachfrage sagte man mir, sie hätten gerade technische Probleme aber man arbeite an einer Lösung. 45 Minuten später ging die Brücke dann glücklicherweise wieder auf und alle Schiffe konnten passieren. Eine Meile später gelangte ich an die nächste Brücke: auch zwei rote Lichter. Ich fragte ein wartendes Segelboot, ob die Brücke auch technische Probleme hätte. Nein, sagte mir der Skipper, diese Brücke öffne nur alle paar Stunden, die nächste Öffnung sei um 14h. Ok, dann habe ich jetzt erstmal Kaffeepause.
So ging es weiter durch die Kanäle, durch’s wunderschöne Haarlem, vorbei an vielen Windmühlen und an Kuh- und Pferdeweiden. Die Nacht verbrachte ich in Lisse, wo mich abends Annelies und Peter besuchten. Die beiden hatte ich letztes Jahr in Schweden auf ihrer SAGA kennengelernt und wir sind einige Zeit parallel gesegelt. Sie wohnen ganz in der Nähe von Lisse und kamen spontan auf ein Glas Wein rüber – immer wieder toll, wie das mit den Seglerbekanntschaften funktioniert.
Am nächsten Morgen stand ich um 5h auf, denn die erste Brücke des Tages war eine Eisenbahnbrücke mit einer Autobahnbrücke direkt dahinter. Diese Brücken öffnen zu festgelegten Zeiten und die ersten Öffnungen des Tages waren um 6h und um 6h30. Um 6h10 war ich an der Brücke, machte am Wartesteg fest und funkte auf dem vorgegebenen Kanal die Brücke an, um sicherzugehen, dass sie mich wahrnehmen. Ja, kam die Antwort, die Brücke soll planmäßig um 6h25 öffnen. Gut, um 6h23 warf ich die Leinen los und positionierte mich direkt vor der Brücke, doch nichts passierte. Die beiden roten Lichter blieben auf rot. Ein paar Minuten später fragte ich nach, was los sei. Der nette Mann am anderen Ende wunderte sich auch, sagte mir, ich solle in 10 Minuten nochmal anrufen, falls sich bis dahin nichts getan hätte. So ging das ein paar Mal hin und her, er fragte beim Brückenwärter nach. Der Brückenwärter teilte ihm mit, dass er vor Ort gewesen sei, es waren zwei Schiffe am Wartesteg aber dort hätten alle noch geschlafen.
Oh Mann war ich sauer! Die nächste Brückenöffnung war erst um 9h30, drei Stunden verloren!! Es sei nicht meine Schuld, ich hätte alles richtig gemacht, sagte mir das Gegenüber am Telefon und empfahl mir, eine offizielle Beschwerde einzureichen, was ich denn auch tat. Vielleicht hilft es irgendjemandem in der Zukunft. Wenn der Brückenwärter wirklich vor Ort gewesen ist, dann hätte ihm auffallen müssen, dass das eine Segelboot zur Brückenöffnung um 6h noch nicht da war – wohl aber um 6h30!
Die Kanäle wurden allmählich breiter und industrieller, viel Berufsschifffahrt kam dazu. Endlich erreichte ich Zeeland. Auch hier hätte ich gern ein paar Tage länger verbracht, was zeitlich aber leider nicht drin war. Dafür konnte ich endlich mein neues Leichtwindsegel in Empfang nehmen. Ich hatte es nach Bruinisse schicken lassen, wo es seit zwei Wochen auf mich wartete, denn eigentlich wollte ich ja schon viel eher hier sein. Und wie es der Zufall so wollte, waren zwei Freunde aus Belgien auch noch vor Ort, die ich drei Jahre nicht gesehen hatte und so konnten wir noch ein paar sommerliche Stunden an Bord zusammen verbringen.
Am nächsten Tag stieg Marianna zu, meine Mitseglerin für die nächste Zeit. Ich war froh, endlich wieder Gesellschaft an Bord zu haben, nach den Wochen der Einsamkeit. Nun drängte es mich auch vorwärts, der Rest der Kanäle und von Zeeland lag schnell hinter uns und vor uns öffnete sich das letzte Schleusentor. Ich blickte auf die Nordsee. So viel Weite nach so vielen Kanälen. Das war ein tolles Gefühl, ein Gefühl der Freiheit. Noch ein kurzer Sprung auf die andere Seite und wir machten in Breskens fest, wo mich wieder Freunde aus Belgien erwarteten. Aufgrund einer geschlossenen Brücke trafen wir zwei Stunden später als geplant ein, konnten aber trotzdem noch einen tollen Abend im Restaurant am Strand verbringen und einen grandiosen Sonnenuntergang erleben. Sogar an der Tankstelle fuhren mich die Jungs noch vorbei, um die Dieselkanister zu füllen, danke dafür!
Ab jetzt wollten wir Strecke machen. Am liebsten direkt durch bis Boulogne sur Mer – doch der Wind und die Strömung machten uns einen Strich durch die Rechnung. Der Wind schlief abends ein und die Strömung lief gegenan. So beschlossen wir, spontan nach Dunkerque einzulaufen, um hier die Nacht zu verbringen. Im Hafen trafen wir Liz und Marvin mit ihrer RAYA (#sailingclimbers). Wir kannten uns bisher nur über Instagram, die beiden hatten sich erst vor Kurzem eine alte Dufour in Holland gekauft, ein schnelles Refit gemacht und nun sind sie, ohne viel Segelerfahrung, auf dem Weg nach Süden. Einige nennen das verrückt, andere verantwortungslos – ich finde es mutig. Und ich finde es toll, wenn man so ins kalte Wasser springt, um seine Träume zu verwirklichen. Für meine Entscheidung hat es ein paar Jahre gedauert – und das trotz deutlich mehr Segelerfahrung.
Gemeinsam ging es am nächsten Tag nach Boulogne sur Mer und von dort weiter in Richtung Cherbourg. Ich freute mich schon wie ein kleines Kind auf diesen Trip, denn der Wind stand günstig, um endlich mein neues Leichtwindsegel auszuprobieren. Es handelt sich um einen sogenannten Code C, einen Cruising Code. Der kommt bei Leichtwind zwischen halbem Wind und raumschots zum Einsatz und ist damit deutlich flexibler als ein Code Zero oder ein Gennaker. War das ein Gefühl, als sich dieses riesige, blaue Stück Tuch entfaltete. In der Mitte des Segels prangt groß mein Logo und GITANA zog es mit bis zu 5 Knoten in Richtung Westen. So konnten wir tatsächlich bis Mitternacht segeln, dann drehte der Wind und die Strömung kippte, so dass wir leider den Motor anschmeißen mussten.
Da ich Marianna an Bord hatte, die draußen Ausschau hielt, konnte ich mich endlich in Ruhe mit meinem Radar beschäftigen. Ein beruhigendes Gefühl, dass ich alle Schiffe um uns herum auf dem Radar entdecken konnte. Am nächsten Morgen zog eine fette Gewitterfront auf, es blitzte und donnerte im Süden. Ein mulmiges Gefühl machte sich breit, so eine Front möchte man nicht über sich hinwegziehen haben. Doch auch hier war das Radar sehr hilfreich, die Gewitterfront war eindeutig zu erkennen auf dem Bildschirm und ich konnte sehen, dass wir gerade so an ihr vorbeikommen.
Nachmittags erreichten wir die Höhe von Cherbourg. Nach einem kurzen Blick auf die Windvorhersage stand die Entscheidung fest: wir fahren gleich weiter bis nach Alderney. Das schaffen wir gerade noch im Hellen, denn im Dunkeln möchte ich dort nicht einlaufen. Es gibt keinen Hafen, es wird an Mooringbojen festgemacht. Der kurze Abschnitt zwischen dem Festland und Alderney nennt sich „Race of Alderney“ und ist bekannt für seine extrem starken Strömungen. Plötzlich schob uns der Strom mit über 10 (!) Knoten der kleinen Insel entgegen. Pünktlich vor Sonnenuntergang machten wir an einer Boje fest, nach 160 Seemeilen und 32 Stunden. Viel Pech hatten dagegen Liz und Marvin, ihnen war in der Nacht der Baum gebrochen und nun wollte der Motor nicht mehr, am Ende mussten sie sich die letzten Meilen nach Cherbourg abschleppen lassen. Der Motor läuft inzwischen glücklicherweise wieder und ein neuer Baum ist auch in Arbeit, so dass es hoffentlich bald auch für die RAYA weitergehen kann.
Zu meiner großen Freude stellte ich fest, dass auch Henrik mit seiner GORM in Alderney lag. Wir sind in Finkenwerder fast am selben Tag gestartet, haben uns seitdem allerdings nie mehr getroffen. Erst hing er in Cuxhaven fest, dann hing ich in Holland fest, dann hat er in Holland eine andere Route genommen und ist dann an der Frankreichküste entlang – wo wir die Abkürzung quer rüber genommen haben. Und nun endlich in Alderney treffen wir uns wieder. Zu dritt erkundeten wir die Insel, die genauso schön ist, wie ich mir das immer vorgestellt hatte. Kleine, weiße Sandstrände, viel Natur, die grünen Wiesen und dahinter das tiefblaue Meer. Zwischendrin immer wieder alte Festungen und Bunkeranlagen, die von der Geschichte der Insel erzählen. Abends gab es im Pub eine leckere Pizza mit einem Pint Cider.
Früh am nächsten Morgen warfen wir die Leinen los, denn der Wind stand günstig, um nach Guernsey rüberzusegeln. Unterwegs erwischten uns einige heftige Regenschauer, die genauso schnell wieder verschwunden waren wie sie kamen und uns triefnass zurückließen. Am frühen Nachmittag erreichten wir St. Peter Port und konnten direkt in die Victoria Marina einlaufen. Die Marina hat eine Betonschwelle am Eingang, damit der Hafen bei Ebbe nicht trockenfällt. Über diese Schwelle kommt man je nach Tiefgang nur kurz vor und kurz nach Hochwasser. Große Augen machte ich, als ich die KIRA im Hafen sah. Wir kennen uns aus Finkenwerder und eigentlich wähnte ich Schiff und Crew irgendwo auf der Ostsee. Die Welt ist eben doch ein Dorf.
An unserem Steg kamen wir schnell mit Astrid und Wolfgang von der NORDICA und mit Kai von der SAILAWAY ins Gespräch, alle Mitglieder im TO (Trans Ocean), was an den Wimpeln unter der Backbordsaling schnell zu erkennen war. In Guernsey hätte ich gern noch mehr Zeit verbracht, um die Insel zu erkunden – doch wieder einmal rief der Wind. So verbrachten wir den Tag damit, uns St. Peter Port anzugucken und, ganz wichtig, zu tanken. Auf Guernsey gibt es roten Diesel, zollfrei, für umgerechnet einen Euro pro Liter – da wurde der Tank nochmal bis obenhin gefüllt.
Zusammen mit unserer kleinen Flotilla, bestehend aus GORM und der SAILAWAY segelten wir am folgenden Tag die 75 Seemeilen rüber nach Roscoff. Die NORDICA muss noch auf Ersatzteile in Guernsey warten. Um 4h morgens standen wir auf, ich wollte noch einmal meinen ewig undichten Diesel-Vorfilter kontrollieren. Der Dichtungsring ist alt und ich finde nirgendwo einen neuen in der richtigen Größe. Einen fast passenden hatte ich getauscht, für zwei Tage dachte ich, das Problem hätte sich gelöst, doch dann tropfe es mehr als zuvor. Täglich den Diesel aus der Bilge zu wischen nervt. Nun stellte ich morgens um 4h also fest, dass mein Dichtungsversuch vom Vortag wieder fehlgeschlagen war – sobald ich den Dieselhahn aufdrehte, fing es wieder an zu tropfen. Also habe ich das Ding zum x-ten Mal auseinandergebaut, den alten Dichtring wieder eingelegt, alles dick mit Motor-Silikonmasse ausgeschmiert und ein Stoßgebet zum Himmel geschickt, dass es doch nun bitte endlich dicht sein möge. Hat geholfen, seit mittlerweile drei Tagen tropf kaum noch Diesel in die Bilge. Die Überfahrt verlief zügig bei halbem Wind, teilweise etwas schaukelig durch die hohen Wellen. Aber insgesamt ein wundervoller Segeltag!
Den Hafentag in Roscoff starteten wir mit einem entspannten Frühstück mit Baguette und Croissants, wie sich das für Frankreich gehört. Mein Freund Christoph aus Hamburg kam zu Besuch, er ist mit seinem Camper unterwegs und hatte uns auch schon in Boulogne sur Mer einen Besuch abgestattet. Am Nachmittag bummelten wir durch die Stadt, während der arme Henrik seine Bilge von etlichen Litern Diesel befreien musste. Irgendwo hatte sich eine Schraube gelöst und der gesamte Tankinhalt hatte sich in die Bilge entleert. Sowas braucht man echt nicht! Mittlerweile sind wir in L’Aber Wrac’h angekommen, von wo aus wir morgen in Richtung Brest aufbrechen werden. Mit etwas Glück kommt der Code C zum Einsatzt – wahrscheinlich aber doch eher der Motor. Von Brest aus wird Marianna nach Deutschland zurückfahren und Alex kommt an Bord, um mit mir die Biskaya zu bezwingen. Alex, ich freu mich auf dich!
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