Zwei Wochen warten. Auf Ersatzteile. Nachdem ich mit dem Mechaniker gesprochen hatte, war klar: das wird wohl alles etwas dauern hier. Zunächst mussten die Kupferhülsen der Einspritzdüsen ausgetauscht werden, da die Dichtungsringe undicht waren. Ich wollte den Zylinderkopf anschließend, wenn er wieder dicht ist, zum Drucktest geben, um sicherzustellen, dass nicht irgendwo noch ein Riss vorhanden ist, der mir zu einem späteren Zeitpunkt Probleme bereiten kann.
Das Problem dabei: die Kupferhülsen mussten irgendwo aus dem Ausland bestellt werden, da sie in Holland nicht vorrätig waren. Ich weiß nicht, woher sie schlussendlich kamen, aber es hat geschlagene zwei Wochen gedauert, bis sie eintrafen! Bis dahin versuchte ich, die Zeit halbwegs sinnvoll zu verbringen. Einen Tag habe ich mir ein Fahrrad gemietet und bin 15km zum Kajakshop nach Heerenveen gefahren. Online hatte ich dort ein Kajak gesehen, was vermeintlich meinen Ansprüchen entsprach – gut, dass ich es mir nochmal persönlich angeguckt habe. Das wasserdichte Kompartment war nämlich gar nicht wasserdicht – nur von oben. Von unten kann neben dem Sitz Wasser nach hinten laufen, das kann ich so nicht gebrauchen.
Ich bestellte mir eine Relingshalterung für meine Rettungsinsel und montierte sie am Heck. Das war nicht einfach wenn man nur zwei Hände hat, da muss man etwas erfinderisch sein. Das Ding ist schwer und auf die Show, wenn sie ins Wasser fällt, würde ich gerne verzichten.
An einem anderen Tag fuhr ich mit meinem Dinghy ins nahe gelegene Naturschutzgebiet. Das war wunderschön, allerdings nervte der Krach vom Außenborder. Ist ja nicht Sinn der Sache, dass man im Naturschutzgebiet die Ruhe genießen will, aber ständig den knatternden Motorlärm um die Ohren hat. Daher habe ich mir ein paar Tage später ein Kajak ausgeliehen und habe die gleiche Tour noch einmal gemacht, mit Ruhe. Einziges Problem: es war noch mehr Westwind als ich erwartet hatte, was den Rückweg gegenan recht anstrengend gestaltete. So anstrengend, dass ich am Ende der Tour deutlich mein rechtes Handgelenk spürte, auch weil das Paddel sich nicht in der Achse verstellen ließ und der Winkel so für mich nicht richtig war. Die nächsten Tage fehlte mir, trotz sofort getroffener Gegenmaßnahmen wie kühlen und Diclofenac, die Kraft in der rechten Hand und die Feinmotorik in den Fingern. Ich konnte mit der rechten Hand keine Wäscheklammer zusammendrücken und auch meine Haarspange nicht.
Zwei Tage später hatte ich endlich meinen Zylinderkopf zurück und konnte den Motor wieder zusammenbauen. Zusammenbauen gestaltet sich deutlich länger als auseinandernehmen. Es gibt einige sehr fummelige Stellen am Motor und wenn dann die rechte Hand nicht so richtig will und man ständig irgendwelche Schrauben und andere Kleinteile in die Bilge fallen lässt, die man meist nicht mehr wiederfindet, dann dauert das Ganze noch etwas länger.
Abends baute ich noch den neuen Temperaturmesser ein. Bisher konnte ich die Kühlwassertemperatur nicht sehen, es ging lediglich ein Alarm los, wenn der Motor zu heiß wurde. Was passiert, wenn der Alarm aus irgendeinem Grund nicht losgeht, hat man ja gesehen. Daher habe ich nun eine Anzeige, auf der ich die tatsächliche Temperatur sehen kann.
Am nächsten Morgen startete ich den Probelauf. Ich merkte schnell, dass der Motor immer noch zu heiß wird, weil nach wie vor kein Wasser in den Wärmetauscher gelangt.
Ich ließ den Motor laufen. Immer nur kurz, bis die Wassertemperatur 80 Grad und mehr erreicht hat, dank meines neuen Instrumentes konnte ich das ja nun verfolgen. Das ist ein gutes Gefühl. Der Stegnachbar zu meiner Backbordseite fragte, ob mein Motor ein Problem habe und ich erklärte ihm die Situation. Wir unterhielten uns nett, er hatte vor kurzem ein ähnliches Problem, welches aber glücklicherweise behoben werden konnte. Ich kümmerte mich weiter um meinen Motor, er schrubbte sein Boot weiter. Ich ging ins Cockpit, checkte die Temperatur, ging wieder runter, entlüftete nochmal das Thermostatgehäuse. Diese Prozedur wiederholte sich einige Male. Immer wieder kommt Luft aus dem Gehäuse – wo kommt die her? Irgendwann muss die doch auch mal alle sein, oder? Der Nachbarlieger an Steuerbord (Motorbootfahrer) beschwerte sich grimmig bei mir, ich solle doch jetzt endlich mal den Motor ausschalten. Ich sagte ihm es täte mir leid, erklärte ihm die Situation und fragte, ob die Abgase in seine Richtung ziehen. Nein, der Lärm störe ihn. Und wenn ich bis jetzt den Fehler nicht gefunden habe, würde es auch nichts bringen, den Motor immer weiter laufen zu lassen. Er sei schließlich Mechaniker. Und es ginge ja nicht, dass ich das Problem jetzt hier im Hafen suche mit laufendem Motor, im Leerlauf bringe das sowieso nix. Hat er recht, deshalb hatte ich auch den Gang drin. Was erwartet er? Dass ich mit einem überhitzenden Motor Einhand rausfahre, um ihn dort zu testen? Dass das unlogisch ist, schien ihm nicht in den Sinn zu kommen. Ich beschloss, dass ich keinen Ärger möchte, stellte den Motor ab und fragte ihn freundlich, ob er vielleicht noch eine zündende Idee zu meinem Problem hat, so als Mechaniker. Die Stimmung wurde etwas freundlicher, aber alle Hinweise, die er mir gab, hatte ich schon durch. Was soll’s, ich musste eh noch einkaufen und Wasser bunkern, ich würde den Motor einfach am nächsten Morgen nochmal anmachen, wenn Mister Grimm und sein Motorboot weg sind. Und entweder habe ich dann die Luft draußen und es läuft oder ich nehme das Thermostat raus und fahre erstmal ohne.
Einige Stunden später, der Nachbar sitzt oben auf seinem Motorboot und chillt, seine Frau macht irgendwas unter Deck, kommt ein kleines Motorboot. Der Hafenmeister weist es ein, hinter dem großen Motorboot festzumachen, denn der Hafen ist voll. Ich lag anfangs auf demselben Platz und hatte die gleiche Situation: hinter mir wollte noch ein kleines Motorboot festmachen. Ich habe mich damals sofort noch einen Meter nach vorne verholt, damit hinten etwas mehr Platz ist, was dankend zur Kenntnis genommen wurde. Und was macht mein Nachbar hier? Sitzt bresig auf seinem Ausguck und guckt von oben zu, wie hinter ihm in Zentimeterarbeit das kleine Motorboot vertäut wird. Er hat vorne noch 2(!) Meter Platz und macht keine Anstalten, sein Boot zu bewegen. Einfach unglaublich, da hat mich mein erstes Gefühl trotz der später ganz netten Konversation doch nicht getäuscht.
Am nächsten Morgen startete ich noch einen Entlüftungsversuch, aber es nützte alles nichts. Ich nahm das Thermostat raus und verließ um 11 Uhr vormittags, nach 2,5 Wochen, die kleine Stadt Grou im Herzen Frieslands. Anfangs konnte ich den Blick nicht von der Temperaturanzeige lassen, doch alles war gut. Der Motor lief, keine komischen Geräusche, kein Überhitzen. So tuckerten wir 25 Seemeilen über die stehende Mastroute bis nach Stavoren am Ijsselmeer. Fünf Stunden sind anstrengend, wenn man nicht vom Steuer wegkann, aber ich war einfach nur richtig froh, problemlos voranzukommen. In Stavoren unternahm ich einen kleinen Spaziergang zur Schleuse und in die Stadt. Das Gefühl, das mich beim Anblick des Ijsselmeeres überkam, war ein pures Glücksgefühl. Lange habe ich mich nicht mehr so glücklich und frei gefühlt, nun geht es endlich weiter, das (Ijssel)Meer ruft und ich folge! Tiiiieeef einatmen – und erstmal eine Portion Kibbeling am Kiosk holen.
Stavoren ist entzückend, überall kleine Häfen mit vielen Schiffen, Plattbodenschiffe und Gastlieger, nette Cafés und die typischen Rotklinkerhäuser mit vielen Blumen. Besonders die Petunien verströmten einen Duft sondergleichen. Ich sog alles in mich hinein, fühlte mich, als wenn ich nach langer Zeit hinter Gittern endlich wieder raus darf, mich bewegen darf.
Doch ein Problem war unverändert da: der Motor überhitzte nach wie vor. Einen letzten Plan hatte ich noch, ich würde den Heißwasserboiler vom Motor trennen, vielleicht haben sich die Schläuche gedehnt bei der Überhitzung und bauen nicht mehr genug Druck auf. Mehr fiel mir dann nämlich auch nicht mehr ein zu dem Thema. Um 7h morgens klingelte mein Wecker. Aufstehen, Kaffee trinken, Dinghy klar machen, zum Hafen vor der Brücke fahren, dort gibt es einen Schiffsausrüster. Schlauch brauche ich, 16mm Durchmesser. Gibt’s leider nicht. Schade. Einen O-Ring für meinen schon ewig undichten Dieselvorfilter gibt’s auch nicht. Der ist aber selbst im Internet schwer zu finden. Na gut, nehm ich halt ein Anti-Spinnenspray mit, das ist auch was Nützliches hier in den Kanälen. Das ganze Boot ist voller Spinnenweben. Auf dem Rückweg hielt ich noch kurz bei der Werft der Marina, leider auch kein 16mm Schlauch. Auf gut Glück fragte ich nach dem O-Ring, woraufhin mich die Kollegin zu einer Schublade in der Werkstatt führte. Sie war voll mit Dichtungsringen verschiedener Größen und Formen und siehe da – einer passte! Glück muss man auch mal haben. Damit habe ich nach zwei Jahren endlich das Problem des Diesels in der Bilge gelöst, auch ein Grund zum Feiern (es gab drei undichte Stellen an diesem Filter, zwei davon hat mir der Mechaniker in Grou beseitigt).
Ein Stück hitzebeständiger Schlauch hatte ich noch an Bord, um den Kühlkreislauf kurzzuschließen, allerdings war der zu klein. Doch mit vorherigem Erhitzen und etwas Gewalt bekam ich ihn auf die Anschlüsse. Probelauf: Motor überhitzt immer noch. Ok, jetzt fällt mir wirklich nichts mehr ein. Ich ging noch einmal zur Werft und fragte den Volvo-Mechaniker, ob er noch eine Idee hätte, was das Problem sein könne. Es gäbe in einem der Rohre zum Boiler ein Plastikteil, welches bei Überhitzung schmilzt und das Rohr verlegt, ob ich das gefunden hätte, fragte er. Ja, das hatte ich gefunden und rausgenommen – weil es das Rohr verlegte. Bis eben wusste ich nicht, dass es da tatsächlich hingehört, wo ich es gefunden hatte. Ich dachte es sei geschmolzenes Plastik vom Kühlwasserbehälter. Aber Moment mal, bei mir hat das Teil nichts mit dem Boiler zu tun, ich habe eine andere Motor-Version. Bei mir sitzt es in einem der Rücklaufrohre des Kühlwassersystems. Und wenn er mir jetzt sagt, dass das Plastikteil etwas mit der Regulierung des Durchflusses zu tun hätte… Mir dämmerte etwas. Achtung, jetzt wird’s wieder technisch, aber vielleicht spart es irgendjemandem mit dem gleichen Problem einmal vier Wochen Kopfzerbrechen. Dieses Plastikteil reduziert den Durchfluss des Kühlwassers auf dem Rückweg zur Pumpe. Ist es nicht vorhanden, fließt zu viel Wasser durch und drückt von hinten in den Wärmetauscher rein. Die Pumpe kann gegen diesen Druck nicht anarbeiten, daher fließt das Wasser trotz geöffnetem Thermostat nicht durch den Wärmetauscher. Ich nahm das alte Plastikteil, bohrte wieder ein Loch durch (das war ja zugeschmolzen), steckte es in das entsprechende Kupferrohr. Testlauf: Motortemperatur geht nicht über 75°C.
Ich konnte es nicht glauben, dass ich das Mysterium endlich gelöst hatte! Ich kam mir vor wie Dr. House, Patient gerettet, kann jetzt ohne Medikamente weiterleben! Ich hätte Freudentänze vollführen können, aber da mich in der Marina jeder sah, verschob ich den Teil auf später, auf dem Ijsselmeer. Auf geht’s, Enkhuizen ich komme! Ijsselmeer ich komme! Ab durch die Schleuse und raus! Musik an! Und was ein wunderschöner Tag heute, Sonnenschein, leider kamen die paar Knoten Wind von vorne. Macht aber nix, muss ja den Motor testen. Kurz vor Enkhuizen entschloss ich mich, doch noch durch die Schleuse zu fahren und in einen Hafen dahinter zu gehen. In Enkhuizen hing ich vor drei Jahren mehrere Tage fest, da die Kühlwasserpumpe ihren Geist aufgegeben hatte und eine neue hermusste – kurze Beschreibung im Post „Wie alles begann„. Ich wollte die bösen Geister von damals nicht heraufbeschwören. So landete ich in Broekerhaven und ergatterte den letzten Längsseits-Liegeplatz. Ich glaube, in den Boxen wäre Gitana steckengeblieben. Und kurz vor mir trudelten noch zwei Einhandseglerinnen im Hafen ein, das bereitet mir immer große Freude.
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