Während ich diese Zeilen tippe, befinde ich mich 125 Seemeilen südlich von Porto Santo, Madeiras kleiner Nachbarinsel. Ich bin Einhand unterwegs, aus meinem Lautsprecher tönt Mark Knopfler und bald geht die Sonne unter. Das einzig störende Geräusch ist das vom Motor, den ich eben anschmeißen musste, aber das trübt meine Gedanken nicht.
In der Zeit von Februar bis Mai bin ich meiner Arbeit auf Kreta nachgegangen. Dreieinhalb intensive Monate, an deren Ende eine Zahl von 3200 Operationen steht. Das meiste davon waren Kastrationen. Kreta ist damit für viele Katzen und Hunde wieder zu einem Stück heilerer Welt geworden. So viel Elend wurde durch die Kastrationen verhindert, so viel vorhandenes Leid durch die anderen OPs gelindert. Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, bei so einer langen Zeit am Stück auch mal ein paar Urlabstage einzulegen – aber wie das immer so ist, es hat irgendwie nicht geklappt. Umso mehr habe ich ihn jetzt nötig.

Vor ein paar Tagen ging es endlich zurück zu GITANA. Per Businessclass mit Condor. Hört sich teuer an – isses aber nicht Ich packte meinen Koffer und musste mitnehmen: eine Windsteueranlage von Windpilot (ca. 38kg), ein Passatsegel (ca. 10kg), zwei Rettungswesten, ein neues Windinstrument mit Windgeber (nicht schwer aber sperrig), diverse Bücher, meine eigenen Klamotten und – einige wissen es bereits – 20 Packungen Knorr Salatfix. Nirgendwo auf der Welt habe ich bisher Salatfix gefunden, weder von Knorr noch von den anderen Herstellern. In keinem Lidl in Europa und auch sonst in keinem Supermarkt. Und da es für mich überlebenswichtig ist, muss es eben importiert werden. Wiegt ja zum Glück nix.



Hätte ich all dieses Gepäck einzeln hinzubuchen müssen, wäre ich bei einem deutlich höheren Preis gelandet, als bei dem der Businessclass. Letzterer enthielt 1xSportgepäck 30kg, dazu 30kg Aufgabegepäck plus 16kg Handgepäck. Das habe ich ausgereizt. Mein Windpilot ging glücklicherweise als Sportgepäck durch – nur bei den Rettungswesten gab es Ungereimtheiten. Ich hätte sie 48 Stunden vorher anmelden müssen. Die netten Herren am Sperrgepäck teilten mir allerdings mit, ich könne die mitnehmen; bis zu vier Patronen pro Person seien erlaubt. So habe ich sie dann schnell noch an meinem Rucksack befestigt, der auch ins Sperrgepäck ging. Und: es kam alles unversehrt in Las Palmas an! Ich selbst konnte ein leckeres Essen mit echtem Besteck und ein bisschen Sekt an Bord des Fliegers genießen.
GITANA war nach knapp fünf Monaten in einem sehr guten Zustand, kaum Bewuchs am Unterwasserschiff-so sah es zumindest aus. Nur eine Stütze meiner Badeplattform war verbogen, weil irgendjemand meinte, sich an meinen Heckleinen zu schaffen machen zu müssen. Damit war aller Zug auf den Backup-Leinen, kein Zug mehr auf den Leinen mit den Ruckdämpfern und das Schiff viel zu weit hinten am Steg dran. Ist ärgerlich, lässt sich aber reparieren.
Die nächsten vier Tage war ich damit beschäftigt, den neuen Windmesser einzubauen und auch die Windfahnensteuerung. Außerdem mussten die Segel wieder aufgezogen werden, was allein nicht immer ganz einfach ist. Für das Windinstrument war ich insgesamt dreimal im Mast und merkte schon, wie unfit ich geworden bin, dadurch dass ich die letzten Monate nur am OP-Tisch gestanden habe und eigentlich nur meine Hände bewegt habe.



Ich hatte das Wetter im Hinterkopf, denn ich wollte nach Madeira hoch. Für Madeira war auf der Tour von Portugal nach Süden leider keine Zeit, ich möchte die Insel aber auf gar keinen Fall auslassen. Da normalerweise der Passatwind aus Nord-Ost bläst, muss man ein günstiges Wetterfenster abwarten und so eines schien sich gerade aufzutun. Jedoch war es kurz und ging auch mit viel Schwachwind einher und ich hatte nicht vor, den ganzen Weg nach Norden zu motoren. Ich muss mich ja nicht stessen. Dachte ich mir so, bis ich sah, dass direkt nach dem Wetterfenster wieder starker Nordwind kommen soll. Ok, dann stresse ich mich vielleicht doch lieber ein bisschen.
Donnerstagabend sollte ich losfahren um den Westwind zu erwischen. Jetzt war Mittwoch früh und die Windfahnensteuerung war noch nicht angebaut und die Segel auch noch nicht oben. Einkaufen musste ich auch noch. War aber machbar. Eine Mitseglerin würde ich auf die Schnelle nicht mehr finden, doch der Gedanke beunruhigte mich nicht. Es würde ohnehin eine Schwachwind-Tour werden. Trotz allem aber auch die erste Tour, bei der ich mehr als eine Nacht am Stück alleine unterwegs bin.
Am Donnerstag gegen frühen Nachmittag war das Boot soweit klar. Ich fuhr zur Tankstelle um die Tanks mit Diesel zu füllen und verbrachte dort noch drei Stunden um alles aufzuräumen, etwas vorzukochen und vor allem etwas zu essen – das hatte ich bei dem ganzen Stress noch nicht geschafft, doch ich wusste genau, auf leeren Magen durfte ich auf keinen Fall losfahren.


Um 17h45 fühlte ich mich physikalisch und mental bereit und warf die Leinen los. Dafür, dass ich gerade zu meiner ersten, längeren Einhandtour am Stück aufbrach, fühlte ich mich seltsam entspannt. Wenn ich bisher Einhand gesegelt bin, waren es Tagestouren oder maximal eine Nacht involviert, sodass ich mich am nächsten Tag ausruhen konnte. Jetzt erwarteten mich 3-4 Tage und Nächte.

Die ersten drei Stunden lief der Motor, ich erwartete erst gegen 1h morgens etwas Wind. Doch schon um 21h fühlte ich eine leichte Brise, die sich zu einem wunderschönen Segelwind steigerte. Der Motor verstummte und mit halbem Wind segelte ich in die Nacht hinein. Zunächst stellte ich mir alle 10 Minuten den Wecker, um einen Rundumblick zu machen. Später alle 15 Minuten. Ab der zweiten Nacht waren es auch gern 20 oder 30 Minuten, denn es waren weit und breit keine anderen Schiffe zu sehen. Keine Frachtschiffe, keine Fischer, keine anderen Segler. Kein AIS-Signal und nichts auf dem Radar. Durch die etwas längeren Schlafintervalle war ich gut ausgeruht, ich konnte sie ja auch noch in den Tag hineinziehen. Ich glaube, es ist für die Erholung wichtig, dass man auch die Tiefschlafphasen zulässt und das geht nicht unbedingt bei 10 Minuten-Schlaf. Ich habe es immer daran gemerkt, ob ich beim ersten Wecker-Klingeln schon wach war oder ob der Wecker mich eine Weile aus dem Schlaf klingeln musste.

An Tag 2 baute ich den Radadapter für meinen Windpiloten ein. Dummerweise hatte ich beim Auseinanderbau keine Fotos gemacht und hatte Probleme, ihn wieder zusammenzusetzen. Die Konzentration auf die kleinen Schrauben, die ich mehrmals an- und abschrauben musste, machte mich seekrank. Ohnehin brauche ich nach so langer Zeit 1-2 Tage, um mich wieder einzuschaukeln. Das Ergebnis war, dass ich einen Tag lang permanent die Fische füttern musste. Aber das kenne ich ja von mir, das geht vorbei. Dafür hat mich mein Windpilot dann durch die zweite Nacht gesteuert, mit dem schönen Nebeneffekt, dass mein Batteriemanagement deutlich hinzugewonnen hat, denn der elektrische Autopilot zieht eine Menge Strom.

Am dritten Tag drehte der Wind, wie vorhergesagt, auf Nord. Ich habe mich wirklich bemüht, das Ganze auszusegeln und zu kreuzen, aber es ist sooo frustrierend, wenn man am Ende eines ganzen Tages nur ungefähr 20 Seemeilen in die richtige Richtung gutgemacht hat. Außerdem sollte der Wind ab Dienstag noch auffrischen, daher wollte ich vorher im Hafen sein. So entschloss ich mich, abends den Motor anzuschmeißen und mit Groß und Motor zumindest halbwegs in die richtige Richtung zu fahren. Das ist natürlich nervig und die letzten Meilen am vierten Tag zogen sich. GITANA war auch trotz des vermeintlich geringen Bewuchses deutlich langsamer als sonst-diese Muschel-Kalkschalen erzeugen glaube ich einen ganz ordentlichen Reibungswiderstand.


Um 18h lief ich mit einem großen Glücksgefühl im Hafen von Porto Santo ein und machte mit Hilfe eines netten, schwedischen Dinghys, dessen Besatzung gerade vorbeifuhr, an einer Mooringboje fest.

Vier Tage und vier Nächte allein unterwegs. Eine tolle Erfahrung. Auf dem Weg nach Porto Santo zeigte mir mein Plotter 8888 Seemeilen an, die ich bisher mit GITANA zurückgelegt hatte. Man wächst ja bekanntlich mit seinen Aufgaben – und auch mit seinem Schiff. Die Tatsache, dass ich so entspannt an diese, doch relativ spontane, Aufgabe herangegangen bin, überrascht auch mich selber. Ich habe diese vier Tage sehr genossen. Es sind eigentlich Kleinigkeiten, die mir bei dieser Tour so gefallen haben. Normalerweise schlafe ich im Vorschiff. Da ich aber nun 30kg mehr am Heck habe (der Windpilot), habe ich das Dinghy und ein Segel im Vorschiff gelassen und bin selbst in die Achterkabine gezogen. Alle Fender habe ich auf der Tour im achteren Bad verstaut (und meine Schuhe auch), weil es ja gerade keiner benutzt. Je nach Krängung habe ich entweder in der Achterkabine oder in der Salonkoje geschlafen. Ich hatte einfach meine kleine Single-Wohnung auf dieser viertägigen Reise komplett für mich alleine und das hat mir gut gefallen. Was ich aber auch gemerkt habe ist, dass ich mich nach vier Tagen gern mal wieder mit anderen Menschen unterhalten hätte. Ich habe ja nicht mal mehr einen Hund an Bord, mit dem ich reden kann. Insofern hat es alles seine Vor- und Nachteile. Auf jeden Fall bin ich sehr froh, diesen Trip alleine unternommen zu haben. Und von Porto Santo berichte ich im nächsten Eintrag.

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